Stonewall Inn - mehr als nur ein Aufstand
Als sich die 1960er Jahre ihrem Ende neigten, waren Schwule und Lesben nicht nur in den USA sozial ausgegrenzt und regelmäßiger Schikane ausgesetzt. Während die stetig wachsende Gruppe vielerorts als mental krank galt, wurden ihre Mitglieder systematisch diskriminiert. An ein Coming-Out war in vielen Familien daher nicht zu denken. Denn das Risiko von der eigenen Familie verstoßen zu werden und sowohl allein als auch mittellos dazustehen, waren zu groß. Gleichzeitig waren aber auch Restaurants und Bars in die sich Schwule oder Lesben zurückziehen konnten - und bedient wurden - spärlich gesäht. So war zum Einen die Teilnahme am öffentlichen Leben und zum Anderen das freie Bekennen zu den eigenen sexuellen Vorlieben ein riesiges Thema.
Ein Hoch auf die Freiheit
Ein Rückzugsort für “andersorientierte” Jugendliche und Erwachsene bildete das Stonewall-Inn im New Yorker Stadtteil Greenwich Village, in dem sich Lantinas, schwarze Dragqueens, männliche Prostituierte und obdachlose Jugendliche aufhielten. Die bekannte Schwulenbar schenkte nicht nur illegal Alkohol an ihre sozial ausgegrenzten Besucher aus, sondern bot Raum, in dem sich Schwule, Lesben und queer People (of colour) so zeigen konnten, wie es ihnen beliebte. Tanzen mit gleichgeschlechtlichen Partnern und Körperkontakt waren hier möglich. Und so machte sich das Stonewall Inn unter der schützenden Hand der New Yorker Mafia als einer der größten queer Clubs des Big Apples schnell einen Namen. Zum Preis monatlicher Schutzzahlungen entstand inmitten feindlicher Umgebung eine kleine Hochburg zeitlich begrenzter Freiheit.
Dennoch war auch im Stonewall Inn nicht alles rosarot. So wurden insbesonders Schwarze nur unter Vorbehalt oder teils sogar überhaupt nicht eingelassen. Drag-Performerin und Transaktivistin Sylvia Riveras bestätigte in einem Interview sogar: “Als Dragqueen kam man ins Stonewall, wenn sie dich kannten. Und nur eine bestimmte Zahl von Dragqueens wurde gleichzeitig hereingelassen.” Unabhängig von den an die Mafia gezahlten Schmiergeldern kam es zudem auch im Stonewall Inn immer wieder zu Razzien. Solange die Polizei den Anwesenden jedoch keine Gesetzesverstöße nachweisen konnte, zog sie auch schnell wieder ab. Nichtsdestotrotz herrschten Angst und Schrecken.
Zwischen Glitter und Polizeikontrollen
Die Besucher der Bar wurden willkürlich kontrolliert und als queere Person nicht gegen die Gesetze zu verstoßen war Ende 1960 alles andere als einfach. So galt zu dieser Zeit beispielsweise, dass Personen mindestens drei geschlechtsspezifische Kleidungsstücke wie Röcke, Kleider und Blusen oder eben Hosen, Hemden, Krawatten und Co. tragen mussten. Und selbst, wenn die Kleidung stimmte, sorgten die zahlreichen verdeckten Ermittler der lokalen Polizei für Verunsicherung. Denn die Konsequenzen für als illegal eingestuftes Verhalten konnten drastisch ausfallen.
Dabei sorgte nicht nur ein erzwungenes Outen für Unwohlsein und Angst, sondern insbesondere die daraus resultierenden sozialen Konsequenzen wie der Verlust von Freunden oder Familie, eine Kündigung der Arbeitsstelle, Aggressionen und Gewalt. Das Resultat waren nicht selten Depressionen, Obdachlosigkeit, Armut und sogar Suizid.
Neuer Wind im Stonewall Inn
Trotz aller Ungerechtigkeit, Willkür und Schikane liefen auch die Razzien im Stonewall Inn im Allgemeinen geregelt ab. Erst am 28. Juni 1969 erhitzten sich zum ersten Mal die Gemüter ob der polizeilichen Kontrolle. Acht Polizisten in Zivilkleidung hatten sich zuvor unter die Gäste gemischt, um kurz nach Mitternacht sowohl Drag Queens als auch Mitarbeiter der Bar aufgrund der gewählten Kleidung zu verhaften.
Derweil die Verhafteten vor der Schwulenbar in die Polizeivans gezerrt wurden, kam es laut Zeitzeugen wie der 2002 verstorbenen Rivera bereits während der Kontrollen in der Bar zum ersten Mal zu Wortgefechten und Widerworten. Sowohl die Besucher der Bar als auch die LGBTQ* Community in der Christopher Street machte ihren Unmut über Schmiergelder, Polizeikontrollen und Ungerechtigkeit laut. Menschen widersetzten sich dem Willen der Polizei und wehrten sich gegen ihre Verhaftung. Zeitgleich hatten sich vor der Bar zahlreiche Schaulustige versammelt, die das Geschehen aus nächster Nähe beobachteten.
Obwohl bis heute nicht eindeutig geklärt ist, wer das erste Aufbegehren gegen die örtliche Polizeigewalt in New York begann, wird davon ausgegangen, dass es die schwarze Sängerin Stormé DeLarverie war, die zur Gegenwehr aufrief. Noch während die Cross-Dresserin grob von den Polizisten aus der Bar gezerrt wurde, soll sie in die Menge gerufen haben: “Warum tut ihr nichts? Wehrt euch!”
Daraufhin flogen die ersten Flaschen. Reifen der parkenden Polizeiautos wurden aufgeschlitzt. Und die zurückgebliebenen Polizisten wurden von einer wachsenden, protestierenden Menge ins historische Inn gedrängt. Derweil sich die Polizei in der Bar verbarrikadierte, versuchten die Besucher der Bar die Tür aufzubrechen und weitere Flaschen und Steine auf die Polizisten zu werfen. Dieser erste Aufstand gegen die Staatsgewalt verebbte erst in den frühen Morgenstunden.
Jetzt gibt es kein Zurück mehr
Am folgenden Abend funktionierte das Stonewall Inn wie üblich. Nur auf den Alkoholausschank wurde vorsichtshalber verzichtet. Gleichzeitig schienen die Besucher von den Ereignissen des Vortags wie beflügelt. Gay Power bekam einen neuen Wert und hitzige Diskussionen sollten dafür sorgen, dass der vergangene Abend nicht unvergessen blieb. Als schließlich eine weitere Polizei-Razzia im Inn durchgeführt wurde, kam es unvermittelt zu einem erneuten Aufstand.
Und als der Reporter Lucian Truscott die Aufständischen in einem Artikel in der Lokalzeitung Village Voice am folgenden Tag abwertend als faggots bezeichnete, war der Grundstein für eine sich wehrende Gemeinschaft nicht nur gelegt, sondern bereits gefestigt. So gelten die Ausschreitungen rund um das Stonewall Inn in New York als Geburtsstunde der LGBTQ* Bewegung.
Eine neue Zeit beginnt
Stonewall war der Auslöser für den Beginn eines längst überfälligen Paradigmen-Wechsels. Und so entstanden kurze Zeit nach den Unruhen unter anderem die Gay Liberation Front New York, die Gay Liberation Front Michigan, eine Gay Liberation Front in San Francisco, sowie rund 350 Gay Liberation Fronts an Universitäten in ganz Amerika.
Nur ein Jahr nach den Stonewall Aufständen fand in der Christopher Street zudem der erste Liberation March (Befreiungsmarsch) statt. Was als Teil der ersten Gay Pride Week in New York mit einem Marsch vom Stonewall Inn in Richtung Central Park begann, wurde zu einer wachsenden Bewegegung. Tausende schlossen sich den Protestierenden an und setzten sich damit für homosexuelle und transsexuelle Rechte ein.
Die Stonewall Aufstände von 1969 wurden als Aufruf zur Tat verstanden, die nicht nur in den USA die Gay Rights Bewegung anheizten. Auch in Kanada, Deutschland, England, Frankreich oder Australien wurde im Anschluss an dieses historische Event ein Umdenken eingeleitet. Doch wer waren die Schlüsselfiguren im Stonewall Aufstand 1969?
Ein Blick hinter die Kulissen
Was als der eigentliche Beginn der LGBTQ* Bewegung in die Geschichte eingehen sollte, lässt sich selbstverständlich nicht nur auf eine Hand voll Personen zurückführen. Stattdessen waren eine Vielzahl von Menschen unterschiedlichster sexueller Orientierung von Nöten, um den ersten Schritt in Richtung Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zu tun. Nichtsdestotrotz unterstreichen sowohl Zeitzeugen als auch Historiker, dass entgegen der Stonewall Version eines Roland Emmerichs nicht ausschließlich hellhäutige Schwule kämpften, sondern Schwarze, PoC, Latinx und viele weitere beteiligt waren. Insbesondere drei Persönlichkeiten haben sich dabei einen Platz als historische Revolutionäre verdient: Stormy DeLarverie, Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera.
Marsha P. Johnson sagte einmal: "Geschichte ist nicht etwas, auf das man zurückblickt und sagt, dass es unvermeidlich war, sondern es passiert, weil Menschen Entscheidungen treffen, die manchmal sehr impulsiv und spontan sind, aber diese Momente sind kumulative Realitäten". Und viele der Menschen, die Ende Juni 1969 die Entscheidung trafen sich zu wehren und offen für ihre Rechte zu kämpfen, entsprachen nicht dem Bild des deutschen Filmproduzenten.
Stil-Ikonen und Stonewall-Helden
Stormy DeLarverie war 1920 als Tochter einer afroamerikanischen Mutter und deren wohlhabendem weißen Arbeitgeber in New Orleans geboren worden. Während Mischehen zu dieser Zeit gesetzlich nicht möglich waren, sah sich der spätere Dragking bereits in der Kindheit massiven Anfeindungen und körperlicher Gewalt ausgesetzt. Um der wachsenden Homophobie im Süden des Landes zu entfliehen, zog die bekennende Lesbe mit 18 Jahren nach Chicago. Hier begann Stormé eine Karriere als Alt-Jazz-Interpretin und setzte sich vermehrt für die Rechte der LGTB-Community ein.
Bereits vor den Stonewall Aufständen hatte Stormy als US-amerikanische Künstlerin und LGBT-Aktivistin über die Grenzen New Yorks Bekanntheit und Anerkennung unter heterosexuellen und queeren Personen erlangt. Als Dragking und Entertainer wurde DeLarverie bereits in den 1950er Jahren in der berühmten Jewel Box Revue bekannt - die einzige integrierte Drag-Truppe der damaligen Zeit - und sorgte insbesondere durch den androgynen Kleidungsstil für eine zunehmend wachsende Beliebtheit geschlechtsneutraler Kleidung. Gerade die versuchte Festnahme von DeLarverie am 28. Juni 1969 gilt als einer der möglichen Hauptauslöser der Stonewall Aufstände.
Gehör fand der Aufruf von Stormy DeLarverie zur Gegenwehr unter anderem von Marsha P. Johnson und Sylvia Rivera. Die beiden waren bekannte Drag-Performerinnen, die aus Greenwich Village heute nicht mehr wegzudenken sind. Ebenso wie Stormy DeLarverie
war auch Marsha P. Johnson aufgrund ihrer sexuellen Orientierung schon in frühen Lebensjahren von Elizabeth in New Jersey nach New York geflohen. Nach eigenen Vorstellungen gekleidet, arbeitete sie hier zunächst als Sexarbeiterin.
Sylvia Rivera schließlich war das Kind eines puerto-rikanischen Vaters und einer venezolanischen Mutter. Aufgezogen von der Großmutter experimentierte Rivera bereits in frühen Jahren mit Kleidung und Make-up, was bereits in jungen Jahren zu Schikane und körperlicher Gewalt führte. Mit nur 11 Jahren brach Rivera aus dem bekannten, sozialen Umfeld aus und wurde in der 42nd Street Opfer von sexueller Ausbeutung.
Kurz nach dem krassen Wandel zwischen familiärem Leben und reinem Überleben auf New Yorks Straßen lernte Sylvia Rivera Marsha P. Johnson kennen. Beide beteiligten sich mit Inbrunst am Stonewall Aufstand 1969. Während die Schwulenbewegung daraufhin deutlich an Bedeutung gewann, setzte sich Rivera zusammen mit Marsha P. Johnson vermehrt für die Rechte von Transsexuellen ein. Aufbauend auf ähnlichen Schicksalen, hatten die beiden Drag-Performerinnen erkannt, dass viele Transsexuelle genau wie sie als Sexarbeiter tätig wurden, nachdem sie von ihren Familien verstoßen worden waren und obdachlos wurden.
Im Rahmen der Street Transvestite Action Revolutionaries (STAR) boten Johnson und Rivera genau dieser vulnerablen Gruppe Unterkünfte und finanzielle Hilfe. Derweil sich Rivera bis zu ihrem Tod an Lungenkrebs 2002 aktiv für die Rechte der LGBTQ* Community einsetzte, schrieb Johnson als Ikone der LGBTQ* Bewegung, ebenso wie als Modell für bekannte Künstler wie Andy Warhol Geschichte. Ihr plötzlicher Tod im Hudson River am 6. Juli 1992 ist bis heute ungeklärt.
Stonewall war nur der Anfang
Trotz aller Bemühungen sind es bis heute - 53 Jahre nach den Stonewall Aufständen - immer noch vor allen Dingen transsexuelle Menschen und besonders schwarze Transfauren, die immer wieder Opfer von Gewalt sind und systematisch diskriminiert werden. Allein 2020 sind laut Statistik der Transgender Europe knapp 350 Personen aufgrund ihrer Identität ermordet worden. Rund 98 Prozent der Opfer waren Transfrauen. Und allein in den USA waren 79 Prozent der ermordeten Trans-Personen schwarz. Gleichzeitig dürfen homosexuelle Menschen aus Angst vor Krankheitsübertragungen und basierend auf Vorurteilen bis heute kein Blut spenden. Die Liste der sozialen Ungerechtigkeiten und Ausgrenzungen für diesen Personenkreis ist lang.
Schon Sylvia Riveras bestätigte in einem Interview, dass sie versuchte als weiße Frau durchzukommen, um in den 1960er Jahren überhaupt Zulass zum Stonewall Inn zu bekommen. Und so scheint sich zumindest für die schwarze LGTBQ* Community bis heute kaum sichtlich etwas verändert zu haben.
Viele sind sich scheinbar auch 2022 nicht darüber im Klaren, dass während sich die weiße LGTBQ* Community inzwischen für das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehen einsetzt, schwarze Mitglieder immer noch ums blanke Überleben kämpfen. Eine helle Hautfarbe stellt entsprechend auch im 21. Jahrhundert noch ein Privileg dar, dass Sicherheit und Schutz bietet. Parallel dazu werden schwarze Aktivisten wie Marsha P. Johnson, Stormy DeLarverie oder Sylvia Rivera durch Darstellungen wie Emmerichs Film Stonewall bewusst in die zweite Reihe gestellt. Doch wie hätte sich Stonewall ohne die afroamerikanischen Demonstranten, die Black Panthers oder die Black-Power-Organisation entwickelt?
Während die Stonewall Aufstände als Gesamtbild auf dem Weg zu Umbruch und Umdenke betrachtet werden sollten, ist die Revolution längst noch nicht abgeschlossen. Weiter geht es um Akzeptanz, Gleichberechtigung und Inklusion - nicht mehr nur zwischen der Community und der restlichen Gesellschaft, sondern auch untereinander.
So ist die Tatsache, dass gerade Schwulenbars (in Philadelphia, USA) vielfach als Brutstätte des modernen Rassismus gelten, vor den historischen Begebenheiten der Stonewall Aufstände mehr als dramatisch. Und auch, dass der Vorschlag die kunterbunte Regenbogenflagge rechtzeitig zur Philly Pride Parade 2017, um einen braunen und einen schwarzen Streifen zu erweitern besonders von weißen LGTBQ* Mitgliedern stark kritisiert wurde, macht deutlich, dass noch ein langer Weg zu beschreiten ist. Dennoch bildet Stonewall die Grundlage, um wahrlich Fortschritt zu erreichen und eine Zukunft gestalten zu können, die Raum für Diversität und Verständnis bietet.