Gelebte Diversität
Oft brüstet sich gerade Europa damit offen, modern und integrativ zu sein. Doch Integration und Diversität beginnt und endet nicht mit der Ausländerpolitik eines Landes. Stattdessen geht es darum einen sicheren Raum zu schaffen, in dem ausnahmslos alle gemeinsam leben können - unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe oder eben auch ihrer sexuellen Orientierung.
Genau an dieser Stelle legt sich die Stirn vieler jedoch bereits in Falten. Ein Grund dafür ist nicht selten das mangelnde Verständnis für das Anderssein. Und dabei sorgt die Queer Community schlichtweg für frischen Wind in den Reihen dessen, was großflächig bisher als normal galt.
Unabhängig von der eigenen (sexuellen) Überzeugung sollten wir als Teil unserer modernen Gesellschaft daran arbeiten, Hintergründe zu verstehen, Unterschiede schätzen zu lernen und die Stirn letztendlich ein bisschen weniger häufig in Falten zu legen. Damit das gelingt, möchten wir in diesem Beitrag im Detail auf die Verschiedenheit der Queer Community eingehen.
ABC…LGTBQ*
Es wird bunt und bunter in der Queer Community. Immer mehr Personen bekennen sich offen zu ihrem gefühlten Gender und leben ihre sexuelle Orientierung offen aus. Doch was bedeutet LGBTQ* eigentlich und was verbirgt sich hinter den unterschiedlichen Orientierungen dieser wachsenden Gruppe?
Was auf den ersten Blick wirken mag wie ein spontaner Angriff auf die Computertastatur, beschreibt die Anfangsbuchstaben von Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Queer. Alles Begriffe, die kurzerhand aus dem Englischen übernommen wurden und im deutschsprachigen Raum nicht selten auf Unverständnis stoßen. Gemeint ist damit eine Sammelbezeichnung oder kurz LGBTQ* für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender und queer.
Soweit so gut, wäre da nicht das Gendersternchen…
Denn das liefert im deutschen Schriftverkehr den eher unscheinbaren Hinweis darauf, dass nicht nur die fünf bereits genannten Gruppen, sondern schlichtweg alle Geschlechtsidentitäten eingebunden sind. Von Freund*innen über asexuell bis genderfluid ist die Community also im wahrsten Sinne des Wortes divers.
Wer nun jedoch einen Blick hinter die Kulissen werfen möchte, mehr erfahren will und den Schritt von Unwissen zu Akzeptanz und Gemeinschaft wagt, hat an dieser Stelle sicherlich bereits die nächsten Fragen im Kopf. Denn was bedeutet cis, trans oder pansexuell eigentlich? Wir zeigen es Ihnen.
Ist das (noch) normal?
Leider ist ein Großteil unserer Gesellschaft heute immer noch heteronormativ und hält entsprechend cisgender und heterosexualität für die Norm oder noch schlimmer für normal! Im Umkehrschluss sind bei dieser Denkweise all diejenigen, die weder heterosexuell noch cisgender sind anormal!
Dabei beschreibt die Geschlechtsidentität lediglich die gefühlte Zugehörigkeit einer Person zu einem Geschlecht. Ohne Frage ist das eine zutiefst individuelle und persönliche Wahrnehmung, die in keinster Weise von Gesellschaft und privatem Umfeld beeinflusst oder sogar angefeindet werden darf.
Dennoch scheint nicht nur Europa auch 2022 immer noch am Anfang eines langen Weges zu stehen. Ein immens wichtiges Etappenziel auf dieser Reise ist die Erkenntnis und die Akzeptanz der Tatsache, dass sich nicht jeder Mensch zu dem Geschlecht zugehörig fühlt, das bei der Geburt zugewiesen wurde. Genderrollen, die hauptsächlich dazu dienen, Individuen in vorgefertigte, gesellschaftliche Schubladen zu schieben und anhand etablierter Vorstellungen über Geschlechterrollen, erwartete Verhaltensweisen und mehr zu kategoriesieren, sind daher längst überholt.
In puncto Sexualität gibt es kein normal! Mädchen, die rosa Kleidchen anziehen. Jungs, die lediglich mit Autos spielen. Machos und Heulsusen. All das gehört tatsächlich in eine Schublade und hier definitiv unter Verschluss. Heute sollten wir mehr denn je die Möglichkeit haben frei zu sein. Frei von sozialen Zwängen. Frei von eingefahrenen Rollenbildern. Und frei von der Angst für unsere Entscheidungen bestraft oder (öffentlich) angegriffen zu werden.
Wissen macht´s
Der erste Schritt die teils riesige Bresche zwischen der LGBTQ* Community und dem Rest zu überwinden, ist mit Sicherheit Aufklärung. Und genau darum geht es jetzt. Von A wie agender bis T wie transgeschlechtlich bringen wir Licht ins Dunkel.
Agender
Nein, keine Agenda, sondern agender aus dem Englischen. Die Bezeichnung beschreibt Personen, die sich selbst als geschlechtslos wahrnehmen und sich entsprechend keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Personen, die sich als agender fühlen, können ebenfalls die Begriffe geschlechtsneutral oder geschlechtslos verwenden, um ihre sexuelle Orientierung zu beschreiben.
Aromantisch
Aromantische Personen können zwar eine sexuelle Anziehung verspüren, fühlen sich anderen Menschen gegenüber - unabhängig von deren Gender - aber nicht romantisch angezogen.
Asexuell
Auch asexuell orientierte Personen können sich auf romantischer Ebene zu anderen Personen hingezogen fühlen. Generell verspüren sie jedoch nur eine sehr geringe oder sogar gar keine sexuelle Anziehung zu ihren Mitmenschen. Anstelle von asexuell wird häufig auch der Begriff ace verwendet.
Bisexuell
Bisexuell beschreibt grundsätzlich die romantische und auch sexuelle Anziehung zu mehr als einem Gender oder Geschlecht. Wie stark diese Anziehung jeweils ist, kann jedoch schwanken.
Cis(gender)
Cis(gender) beschreibt Personen, deren Gender oder Geschlechtsidentität mit dem Geschlecht übereinstimmt, mit dem sie geboren wurden.
Trans(gender) / Transgeschlechtlich
Das Gegenteil von cis(gender) ist trans(gender) oder transgeschlechtlich. Dieser Begriff beschreibt Menschen, deren Gender oder Geschlechtsidentität nicht mit dem Geschlecht übereinstimmt, das ihnen zum Zeitpunkt der Geburt zugewiesen wurde. Trans(gender) wird dabei als Sammelbegriff für diejenigen Personen genutzt, die sexuell nicht den allgemeinen gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen.
Da trans(gender) keine sexuelle Orientierung impliziert, kann der Begriff sowohl von lesbischen, homosexuellen, bisexuellen und andersorientierten Personen genutzt werden.
Intergeschlechtlich
Menschen, deren natürlichen Geschlechtsmerkmale zum Zeitpunkt der Geburt nicht als eindeutig weiblich oder männlich bestimmt werden konnten, gelten als intergeschlechtlich. Dies kann sich auf sexuelle Hormone, Chromosomen, Genitalien und vieles mehr beziehen.
Grundsätzlich darf dieser Begriff jedoch nicht mit trans(gender) verwechselt werden, obwohl intergeschlechtliche Personen sich selbst durchaus als trans(gender) bezeichnen können.
Genderfluid
Schwankt die eigene Geschlechtsidentität oder wandelt sich das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, wird dies als genderfluid bezeichnet. Dabei kann sich eine Person zeitweise als männlich, weiblich, agender, etc. oder auch als eine Kombination aus diesen Geschlechtsidentitäten fühlen.
Genderqueer
Genderqueer beschreibt einen Menschen, der sich weder als männlich noch als weiblich fühlt. Stattdessen befindet sich diese Person dem eigenen Gefühl nach zwischen bestehenden Geschlechtsidentitäten oder fühlt sich einer Kombination verschiedener Gender zugehörig.
Heterosexuell
Heterosexuell galt für einen Großteil unserer Gesellschaft bisher als die Norm. Heterosexuelle Personen fühlen sich sowohl sexuell als auch romantisch vornehmlich von Menschen des anderen Geschlechts angezogen. Dieses Bild wird seit Jahrzehnten über Medien, Geschichten und vieles mehr bewusst als normal dargestellt.
Homosexuell/Schwul
Im Gegensatz zu heterosexuellen Menschen fühlen sich homosexuelle Männer von Menschen des gleichen Geschlechts angezogen.
Lesbisch
Der Begriff lesbisch beschreibt Frauen oder nicht-binäre Personen, die Frauen oder ebenfalls nicht-binäre Partnerinnen sexuell anziehend finden.
Nicht-binär
Nicht-binär zu sein, bedeutet eine sich wandelnde Geschlechtsidentität zu haben und sich außerhalb des bestehenden Gender-Spektrums zu bewegen. Nicht-binäre Personen definieren die eigene Geschlechtsidentität dabei beispielsweise weder permanent als weiblich noch als männlich.
Häufig definieren sich nicht-binäre Menschen als trans. Dies trifft aber nicht grundsätzlich auf alle Personen zu.
Pansexuell
Pansexuelle Menschen machen ihre sexuelle Anziehung nicht an der Geschlechtsidentität ihrer Partner fest. Hier geht es also mehr um die Person an sich als um deren Gender.
Queer
Der Begriff queer trennt Identitäten weniger deutlich bis gar nicht mehr. Menschen, die sich selbst als queer bezeichnen, sprechen sich dabei häufig gegen die bekannte, binäre Aufteilung unserer Gesellschaft in Mann und Frau aus.
Zeitgleich entsprechen queere Personen häufig ebenfalls nicht dem normativen hetero oder cis Bild. Somit steht das Q in LGBTQ* nicht nur für queer sonder auch für questioning, also das Infragestellen bestehender Gesellschaftsnormen.
Mehr als eine Frage des Geschlechts
Gender und Geschlecht sind soziale Konstrukte, die nicht selten zu Homofeindlichkeit, Misandrie (Männerhass), Misogynie (Frauenhass), Sexismus und Co. führen. Dass das nicht immer so war, zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher. Denn während beispielsweise in der Antike mehr Raum für Freiheit bestanden zu haben scheint, ist heute Fakt: Wer sich mit dem Geschlecht identifizieren kann, das bei der Geburt zugewiesen wurde, ist privilegiert. Cis(gender) sind sich darüber im Allgemeinen jedoch kaum bewusst.
Im alltäglichen Leben automatisch mit dem korrekten Pronomen angesprochen, als Frau oder Mann behandelt zu werden und sich gut dabei zu fühlen, ist für viele Personen leider nicht normal. Stattdessen erleben Viele eine deutliche Diskrepanz zwischen dem, wie sie als Person von der Gesellschaft wahrgenommen und behandelt werden und der eigenen gefühlten Sexualität. Grundlage hierfür ist das permanente Denken in Schubladen oder Klischees.
Denn wer aussieht wie ein Mann, muss furchtlos, stark und behaart sein! Das diese Art von Schubladendenken absolut überholt ist, macht die LGTBQ* Community mit all ihren Facetten deutlich. Und trotzdem fallen ganze Generationen immer wieder in alte Denkmuster zurück, die Eigenschaften und Charakterzüge wie Sanfmut, Fürsorglichkeit oder Zurückhaltung, Willensstärke, Muskelkraft oder Kampfgeist mit einem bestimment Geschlecht koppeln.
Die Tendenz das Aussehen einer Person oder ihr wahrgenommenes Geschlecht als Grundlage für die Entscheidung für oder gegen ein Personalpronomen zu nutzen, sowie die erwartete Verhaltensweise eines Menschen anhand von Äußerlichkeiten zu bestimmen, verkompliziert und verallgemeinert! Stattdessen lohnt es sich, nachzufragen und Sprache als Tool auf dem Weg hin zu Inklusion und weg von Diskriminierung zu gebrauchen.
Durch korrekte Sprache bekommt jede Person die Möglichkeit auch im öffentlichen Raum als Individuum wahrgenommen zu werden, das unabhängig von aktuell geltenden gesellschaftlichen Rollen handeln kann.
Während ein automatisch zugeordnetes Pronomen also durchaus verletzend wirken und eine unpassende Geschlechtszuweisung darstellen kann, haben wir mit der korrekten Sprache genau das Werkzeug an der Hand, das nötig ist, um der individuellen Identität jedes Einzelnen gerecht zu werden. Und das gilt für nicht-binäre, transgeschlechtliche und agender ebenso wie für cis(gender).
Wer sich also nicht nur für eine rosarote, sondern kunterbunte, integrative und solidarische Zukunft einsetzen möchte, in der sich jeder als vollwertige Person akzeptiert fühlt, darf sich gerne sowohl in der geschriebenen als auch gesprochenen Kommunikation mit dem passenden Personalpronomen vorstellen.